Geschlechterforschung in der Informatik

From Informatik & Geschlecht 2010
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Disclaimer: Die Seite ist ein Teil eines dreiteiligen Input-Moduls, das im "Informatik & Geschlecht"-online-Kurs 2009 verwendet wurde. Ursprünglich von Johnny erstellt, ist es hier freigegeben zum Ergänzen und Erweitern. Einige der Inhalte sind auch Johnnys Bachelorarbeit entnommen <ref>Diese kann hier eingesehen werden: http://diebin.at/~johnny/2009/iug-thesis.html (2010-03-07)</ref>. Die Seite hier ist also noch in Entwicklung. Gleich hier am Kopf der Seite finden sich auch noch Punkte, wo noch Leute vor haben sie zu erledigen.

Koautor*innen:

ToDos:

  • Bilder bei den Unterkapiteln einfügen
  • Zitate und Referenzen farblich kennzeichnen
  • Substantiellere Quellenangaben einarbeiten
  • Querverweise auf die Materialsammlung setzen.
  • Reflexionspunkte adaptieren , Hinweis darauf auch in der Einleitung



Mafalda

In diesem Lernmodul versuchen wir uns Ansätzen für eine Geschlechterforschung in Verbindung mit und innerhalb der Informatik zu nähern. Um das ganze Modul durchzuarbeiten benötigt mensch circa zwischen 1 und 2 Stunden (wobei dem Wissensdurst nach oben hin an sich ja keine Grenzen gesetzt sind).

Beginnend mit Kapitel 2 betrachten wir allgemein Arbeitsbedingungen, die durch die Informatik beeinflusst werden, und auch in diese zurückwirken. Es geht also auch um Arbeitsbedingungen innerhalb der Informatik, vor allem am Beispiel von Leitbildern, die bereits mittels komplexer Mechanismen das Interessenspektrum und den angestrebten Arbeitsbereich vorformen können. In Kapitel 3 nähern wir uns der Frage der Geschlechterverhältnisse ganz konkret am Beispiel einer Projektstudie an der Carnegie Mellon University. Im abschließenden Kapitel 4 wollen wir auch einige Ansätze aufzeigen, bei denen die Geschlechterforschung direkt und unmittelbar an Methoden und Handwerkszeug der Informatik ansetzen.

Am Ende bleibt die offene Frage, ob und warum wir explizite Geschlechterforschung in der Informatik benötigen und wo allfällige Ansatzpunkte liegen könnten.

Hinweis zu den Reflexionspunkten:

  • Auf einigen Seiten wirst du explizit auf "Reflexionspunkte" stoßen und aufgefordert, eine Antwort über die Kommentarfunktion zu geben. Generell kannst du aber auf jeder Seite deine Kommentare, oder Fragen zum Thema loswerden. Oder du weißt von weiteren spannenden Informationsquellen zum Thema, dann schreib dies ebenfalls als Kommentar dazu.
  • Antworten auf Reflexionspunkte sind nicht verpflichtend, und es soll auch nicht darum gehen, lange und elaboriert ausgearbeitete Antworten zu finden. Viel mehr sind sie eine Möglichkeit zur Selbstaktivierung und bieten dir die Möglichkeit den Kurs aktiv mitzugestalten. Du kannst allerdings auch die Kursforen in diesem ILIAS-Kurs oder aber das zentrale Kurswiki verwenden, um über diese Inhalte zu kommunizieren.


Arbeitsbedingungen durch und in der Informatik

Arbeitswelt und Informatik

Die Informatik beeinflusst unseren Arbeitsalltag besonders stark. In vielen Fällen sind wir in hohem Maße von Produkten der Informatik abhängig, um unsere Arbeit zu tun. Vor allem PCs werden seit fast zwei Jahrzehnten massenhaft zur Unterstützung alltäglicher Arbeiten eingesetzt. Ob für das Verfassen von Briefen, das Anfertigen von technischen Zeichnungen, die Kalkulation von Budgets oder das Koordinieren von Arbeiten, überall werden PCs eingesetzt um uns dies zu erleichtern. Entscheidend dabei sind meist die verwendeten Programme, aber auch der PC als Hardware, sowie das Betriebssystem müssen gewissen Ansprüchen genügen, damit wir diese sinnvoll einsetzen können. Aber nicht nur in Bereichen außerhalb der Informatik, auch innerhalb dieser werden immer neue Programmiersprachen, -bibliotheken und -konzepte sowie neue Tools und Methoden für die Softwareentwicklung konzeptioniert und implementiert. Somit sind wir auch selbst von den, durch die Informatik hervorgebrachten, Produkten abhängig und werden von diesen beeinflusst.

Wenn also Produkte der Informatik, und Software im Speziellen entwickelt werden, haben die Entwickler*innen stets ein bestimmtes Bild davon im Kopf, wie Menschen (effektiv) arbeiten, und was die - mit dem entwickelten Produkt - zu erledigende Arbeit genau ist bzw. wie sie sich gestalten lässt. Sehr oft sind diese Vorstellungen bei der Entwicklung gar nicht bewusst und werden stillschweigend vorausgesetzt. Das, was dann dabei herauskommt, gestaltet wiederum die nachgelagerten Arbeitsprozesse. Und so können sich auch bestimmte Vorstellungen in die Informatik selbst einschreiben. Insbesondere Aspekte der Arbeitsteilung sind dabei ganz stark mit Geschlechterfragen verbunden.

Arbeitsteilung

Insbesondere durch die Industrialisierung wurde Arbeit im Allgemeinen dahingehend "rationalisiert", dass möglichst kleine Arbeitsschritte von austauschbaren Arbeitenden (später waren dies Maschinen) verrichtet werden. Unter dem Paradigma der Taylorisierung entstand schließlich auch eine zunehmende Trennung von "Hand-" und "Kopfarbeit", die sich neben industriellen Produktionsstätten auch auf deren Büros und allgemein auch kleinere Büros ausweiteten. Dabei belegen empirische Untersuchungen eine Korrelation des Gebrauchs der Attribute "männlich" zu Kopfarbeit und "weiblich" zu Handarbeit. (vgl. Meier 1987, pp.48-49) <ref>Meier Sigrid (1987): Neue Arbeitsteilungen? In: Brosius Gerhard, Haug Frigga (Eds.): Frauen \ Männer \ Computer. EDV im Büro: Empirische Untersuchungen. Argument-Verlag. Berlin. pp. 47-53</ref>

Es zeigt sich, dass Merkmale und Fähigkeiten bestimmten Geschlechtern zugeschrieben werden, und Arbeit entsprechend dieser Trennungslinie organisiert wird - und somit die Trennungslinie auch gefestigt wird. Der (Neu-)Einsatz von Computern hat zunächst das Potential diese Linien aufzubrechen, da damit auch viele zuvor arbeitsteilige Schritte zusammengefasst werden können. Es kommt zu einer "Feminisierung der Arbeit", in der jedoch auch Männer feminisierte Arbeit durchführen. Dies geht einher mit Verschiebungen der Qualifikationszuschreibungen an bestimmte Arbeiten. Wie in der Geschichte öfter schon der Fall, werden Frauen erst in bestimmten Bereichen eingesetzt, wenn diese für Männer uninteressant werden und monotonen Massencharakter annehmen. So kann auch eine früher als eher "weiblich" und "uninteressant" assoziierte Arbeit einer Neubewertung als "innovativ" und "zukunftsweisend" unterliegen. Mit dem selben Grad werden dann Frauen wieder zunehmend von dieser Tätigkeit ausgeschlossen. (vgl. Meier 1987)

Das Gesagte gilt allerdings sehr allgemein, und wir fragen uns nach wie vor, was das für die Informatik konkret bedeutet. Hier bietet sich zum Beispiel als ein möglicher Ansatzpunkt das Paradigma der Objektorientierung. Auf dieses werden wir in Kapitel 4 nochmals zurückkommen. Zunächst wollen wir uns noch mit dem Leitbild der Informatik auseinandersetzen und dann im folgenden Kapitel die Situation im Fachbereich Informatik selbst ansehen.

Informatiker*innen-Leitbilder

Auf die Arbeit mit und in der Informatik wirkt sich auch die Vorstellung aus, welche die Menschen von der Informatik und von Informatiker*innen haben. Eine interessante Studie dazu wurde von Bente Rasmussen und Tove Håpnes anhand des NIT (Norwegian Institute of Technology) vorgelegt. Das NIT war zu der Zeit eine Prestige-Universität mit einem Frauenanteil von 8 bis 10 %. Die Studie entwickelt anhand von Interviews folgende 5 Analysekategorien für je 5 Gruppen von Beteiligten am Informatikinstitut des NIT (Rasmussen 1991) <ref>Rasmussen Bente, Håpnes Tove (1991): Excluding women from the technologies of the future? A case study of the culture of computer science. Futures. Vol. 23 Issue 10 (Dez. 1991). pp.1107-1119 (aus dem FU-Berlin-Netz auch online abrufbar auf ScienceDirect.com)</ref>:

  • Female Students: alle Studentinnen, klare Minderheit am Institut, nich-traditionell, sehen sich selbst als Anders (als der Rest am Institut), streben professionelle Karriere an und sind an Mathematik und Physik interessiert
  • Hacker: Minderheit, nächtliche Arbeiter, verhalten und sehen sich als Besonders, nur Männer
  • Dedicated Students: arbeiten viel und eng mit den Lehrenden zusammen, sind loyal und alle männlich
  • Professors and Teachers: wichtige, stabile Rolle, arbeiten viel, nur Männer
  • Normal male students: Mehrheit, "normal" weil sie neben Computern andere Interessen haben (wie die Female Students auch)

Mittels dieser Einteilung gelangen Hapnes & Rasmussen zu der Ansicht, dass die Professors and Teachers sowie die Dedicated Students (als Nachfolger der ersteren) das Institut am stärksten beeinflussen, jedoch die Kultur der Hacker am stärksten nach außen getragen und als Image verwendet wird, obgleich die Hacker eine Abneigung gegen das universitäre System und die Dedicated Students hegen. Im Gegensatz zu diesen drei Gruppen ist die professionelle Identität der Frauen mit Aspekten der Informatik abseits der Maschine und technischer Möglichkeiten verbunden. Sie interessieren sich primär für Anwendungen der Informatik und fühlen sich selbst, wegen der dem entgegengesetzten hegemonialen Kultur am NIT, als eher peripher im Bereich der Informatik.

Die Studentinnen am NIT kritisieren zwar den Ablauf des Studienplans und die pädagogischen Mittel, jedoch nicht den Inhalt der Lehre. Sie versuchen sich so ihre individuellen Lösungen zu basteln und fassen eher im Ingenieurswesen fuß, nicht aber an der Universität (dem NIT) selbst. Dabei gibt es gewisse Änderungspotentiale, die allerdings von der internen Dynamik abhängig sind und durch eben solche Studien sichtbar gemacht werden können.

Material:

  • Den Håpnes & Rasmussen Text gibts auch in einer eingescannten und schon bekritzelten Version @ johnnys (Zugangsdaten über den Kurs)

Geschlechterverhältnisse in der Informatik

Geschlechtsspezifische Zugänge zum Informatik-Studium : Computing with a purpose

Bisher haben wir festgestellt, dass in Bereichen die mit Computer im Allgemeinen und Informatik im Speziellen zu tun haben bereits bestimmte Verhältnisse wirken, die geschlechtliche Differenz erzeugen und auf Basis dieser diskriminieren. Wenden wir uns nun ganz spezifisch dem Bereich des Informatikstudiums zu.

Jane Margolis und Allan Fisher waren an einem Projekt an der Informatik-Fakultät der Carnegie Mellon University beteiligt, das den Anteil der Studentinnen, gegenüber den Studenten, erhöhen soll (Margolis 2002) <ref>Margolis Jane, Fisher Allan (2002): Unlocking the Clubhouse. Women in Computing. The MIT Press. Cambridge London.</ref>. Richtiger wäre von Computer Science zu sprechen, ich setze aber für unsere Zwecke diese Bezeichnung mit Informatik gleich. Auch muss vorab bereits angemerkt werden, dass eine binäre geschlechtliche Repräsentation vorausgesetzt wurde und somit die Ergebnisse ihrer Studie eine Frau/Mann-Dichotomie wiederspiegeln. Freilich sind deshalb die genannten Eigenschaften nicht ausschließlich immer nur auf jene Personen zu beziehen die vage nach vermutlich biologischen Kriterien hier jeweils einem Geschlecht zugeordnet wurden. Allerdings sind so schön verschiedene Tendenzen zu erkennen. Zu Beginn wurden in der Studie die Motivation der Studentinnen, die bereits Informatik studieren, erhoben. Ein Zitat aus ihrer Studie:

The women in our study were the survivors of the „boys' club“ of high school computing. Some of them self-identified as „girl geeks“. [...] Most of these women decided to major in computer science because they did well in a high school class, they found computing came easy to them, and they derived pleasure from it. (ibid, p. 49)

Freude/Vergnügen ist ein zentraler Bestandteil (für 'Frauen' und 'Männer') für eine Entscheidung zu einem Informatik-Studium, bei Frauen spielen tendenziell wesentlich mehr Faktoren eine Rolle. Die meisten 'Männer' sind vom Informatik-Studium als der perfekten Wahl überzeugt. Für viele von ihnen erreicht „the decision to major in computer science barely [...] the level of conscious consideration“(ibid, p.50). Die folgenden Grafiken veranschaulichen dies detaillierter. Sie zeigen die Entscheidungskriterien von 'Frauen' und 'Männern' für ein Informatik-Studium:

Motivation zum Informatikstudium - Frauen (Quelle: Margolis 2002)
Motivation zum Informatikstudium - Männer (Quelle: Margolis 2002)

'Frauen' scheinen also eher von der Vielseitigkeit der Informatik angezogen zu werden als von abstrakter Problemlösung fiktiver Probleme. „Connecting computing to other fields and working with its human and social contexts make the study of computer science compelling and meaningful“ (ibid, p. 52). Viele 'Frauen' wollen sich nicht durch CS von der 'realen' Gesellschaft (und deren Problemen) trennen lassen. "Forty-four percent of the women we interviewed and nine percent of the men link their interest in computing to other arenas. We refer to this orientation as „computing with a purpose.“" (ibid, p.53)

Material:

Geschlechtsspezifische Zugänge zum Informatik-Studium : Broader View of Programming

Nun sind die ersten Semester im Studium (zumindest der Computer Science an der Carnegie Mellon University) sehr eng fokussiert auf die technischen Aspekte der Programmierung und „removed from real-world context and concerns.“ (ibid, p. 56). Laut der von Margolis und Fisher zitierten Frances Grundy bestimmt ein 'innerer Zirkel' der Informatik was 'pure computing' und somit 'real computer science' bedeutet und dass diese aus historischen Gründen höhergestellt sind als der Rest. „Since the majority male „insider“ group finds particular value in abstraction and in the joy of playing at the computer, these become dominant parts of the computing curriculum and culture.“ (vgl. ibid, p. 57)

Ähnlich verhält es sich zum Feld der Programmierung allgemein. „A Broader View of Programming“ (ibid, pp. 57-59) ist gefordert, da mittlerweile (unter 'Frauen' als auch 'Männern') das Vergnügen am Programmieren über traditionelle Motive hinausgeht. Allerdings besteht trotzdem auch ein signifikanter Unterschied zwischen der Motivation von 'Frauen' und 'Männern', was auch in der folgenden Tabelle dargestellt wird:

Motivation an der Programmierung - Frauen und Männer (Quelle: Margolis 2002

Neugestaltung der Geschlechterverhältnisse über Informatik-Curricula

Die Ergebnisse dieser Studien von Jane Margolis und Allan Fisher wurden auch in einem studienbegleitenden Programm an der ganzen Informatik-Fakultät der Carnegoie Mellon University umgesetzt. Verschiedene Maßnahmen wurden getroffen, die dazu führten, dass der 'Frauen'anteil zwischen 1995 und 2000 von 7% auf 42% gestiegen ist. Darunter fallen zusammenfassend (Margolis 2002, pp. 130-134):

  • Adressieren eines bestehenden „experience gap“
  • Ändern der Zulassungsmodalitäten und -verfahren
  • Mehr Bedachtnahme auf 'gute Lehre'/Didaktik (good teaching)
  • Kontextualisierung der Informatik in realen Problemstellungen
  • Entmystifizieren und Ändern der Kultur innerhalb der Informatik
  • Freundlicher Kontakt (outreach) zu High Schools
Anteil an Frauen bei den Informatik-Neuzugängen (Quelle: Margolis 2002)

Nicht erfolgreiche Ansätze (oder zumindest ohne feststellbare Auswirkung) waren eine Reihe einfacher Rekrutierungstechniken und das Institutionaliseren einer aktiven Communitiy von Frauen, wobei dahinter das Fehlen einer kritischen Masse vermutet wird. Einige der vorgeschlagenen Änderungen könnten auch unter Bedachtnahme auf lokale Gegebenheiten an anderen Universitäten eingeführt werden. Viele andere Studien zeigen ähnliche Ergebnisse. Teile der Wirtschaft sehen auch darin für sich nützbares Potential. Margolis und Fisher geben mit ihrer Arbeit mögliche Handlungsmuster vor, die genutzt werden sollten. Sie sagen allerdings auch explizit dass es eine Person mit einer „position of appropriate authority“ braucht, die das Unterfangen unterstützt, sowie (zumindest) eine sich zuständig fühlende Person, die 'am Ball bleibt' und entsprechenden Druck und Anstoß zur Umsetzung gibt.

Ähnliche Ergebnisse finden sich auch in Kuark (1997) <ref>Kuark Julia K. (1997) : Ingenieurinnen: Frauen in der Tradition des Ingenieurwesens. In: Hartmann Corinna, Sanner Ute (Eds.): Ingenieurinnen : Ein unverzichtbares Potential für die Gesellschaft. Hoho Verlag C. Hoffmann, Kirchlinteln. pp. 47-60</ref>, Möller und Voß (1997) <ref>Möller Martina, Voß Jürgen (1997) : Studentinnenspezifische Angebote - ein Weg zu mehr Kooperation im Studium. In: Hartmann Corinna, Sanner Ute (Eds.): Ingenieurinnen : Ein unverzichtbares Potential für die Gesellschaft. Hoho Verlag C. Hoffmann, Kirchlinteln. pp. 61-92</ref> sowie Funken (1997) <ref>Funken Christiane (1997) : Fachliche Gleichheit - Soziale Differenz - ausgewählte empirische Befunde zur Lage der Informatikerinnen in Schule, Studium, Wissenschaft und Wirtschaft. In: Hartmann Corinna, Sanner Ute (Eds.): Ingenieurinnen : Ein unverzichtbares Potential für die Gesellschaft. Hoho Verlag C. Hoffmann, Kirchlinteln. pp. 203-213</ref> oder auch Janshen (1990) <ref>Janshen Doris (Ed.) (1990): Hat die Technik ein Geschlecht? Denkschrift für eine andere technische Zivilisation. Orlanda Frauenverlag. Berlin</ref>. Neben der Veränderung schulischer und vorschulischer gender-Sensibilisierung im Technikbereich kann daher auch ein allgemeiner curricularer Forderungskatalog erstellt werden:

  • ganzheitlichere Informatik-Ausbildung
  • didaktisches Trainung und Reflexion für Lehrende
  • Reflexive Koedukation (insbesondere zum Studieneinstieg)
  • explizite wissenschaftstheoretische Lehrinhalte
  • explizite gendersensibilisierende und -reflektierende Lehrinhalte
  • eigener Forschungsbereich für Genderfragen in der Informatik
  • verbesserte und veränderte Imagepflege im sekundären Bildungsbereich

Geschlechtlich konnotierte Zugänge der Informatik

Objektorientierung

Nachdem wir die, durch die Informatik beeinflusste Arbeitssituation und die Geschlechterverhältnisse innerhalb der Informatik selbst betrachtet haben, wollen wir uns nun spezifischen Aspekten aus der Informatik selbst zuwenden, welche Anknüpfungspunkte für eine Geschlechterforschung in der Informatik darstellen können.

Ein mittlerweile weit verbreitetes Konzept in der Informatik ist jenes der Objektorientierung. Das Paradigma der OOP geht davon aus, dass die Realität mittels Klassifizierungsschemata vollständig durch Objekte abgebildet werden kann. Objekte sind voneinander disjunkte Mengen mit festgeschriebenen Eigenschaften und Verhaltensmöglichkeiten. Hier wird bereits klar, dass soziale Verhältnisse schlecht damit modellierbar sind. Hier setzt auch die feministische Kritik am Objektorientierten Paradigma an, denn das Modell funktioniert nur unter folgenden Bedingungen:

  • Objekte sind nicht sozial konstruiert
  • Die Objektstruktur ist unabhängig von dem*der Beobachter*in
  • Die Objektrezeption ist stets unverändert

Es wird also eine geordnet strukturierte Welt vorausgesetzt und modelliert. Diese wirkt dann, durch ihre Anwendung in Form von Software, wieder auf diese Welt zurückt. Die OOP birgt somit ein oft nicht hinterfragtes zwingend normatives Moment. Weitere Begriffe, die für die OOP zentral und letztlich sehr fragwürdig sind, sind neben "Objektivität" auch jene von "Wahrheit" und "Neutralität". Eine zentrale Forderung ist daher, den objektorientierten Ansatz dahingehend zu entmythologisieren, dass die Welt nicht mehr als vollständig objektivierbar und durch formalisierte Objekte darstellbar gedacht wird. Die Objektorientierung schafft in der Software ein hierarchisches Modell, das sie in der Realität bereits voraussetzt. Dieses ist jedoch in der Realität nicht immer zutreffend und auch nicht eindeutig festlegbar. Die Objektorientierung in der Softwareentwicklung muss sich dieser Voraussetzung bewusst werden und die (objektorientierte) Analyse der Realität entsprechend diskursiv gestalten und offen halten.

In die Welt der Objekorientierung ist eine starke behavioristische und tayloristische Sichtweise eingeschrieben, bzw. wird eine solche durch die Objekorientierung (re)produziert. Hier können wir auch wieder auf das Kapitel zur Geschichte der Informatik aus dem Modul "Was ist Informatik?" zurückblicken.

Material:

  • Crutzen Cecile, Gerrisson Jack (2000): Doubting the OBJECT world. In: Ellen Balka, Richard Smith (Eds.): Women, Work and Computerization. Charting a Course to the Future. Kluwer. pp. 127-136

Boys and their toys

Technologie entsteht nicht nur aufgrund zielgerichteten Handelns, sondern basiert auch auf spielerischer Beschäftigung. Dieser spielerische Umgang mit Technologie ist stark männlich geprägt bzw. konnotiert, was auch klassisch weiblich sozialisierten Personen den Zugang erschwert, zumal auch diese Tatsache kaum reflektiert wird und daraus kein Einfluss auf bestehende Sozialisationsmuster entsteht. Tine Kleif und Wendy Faulkner decken diesen Aspekt als einen Bestandteil auf, der zur Freude an der Beschäftigung beiträgt. In ihrer Studie (Kleif 2002) <ref>Kleif Tine, Faulkner Wendy (2002): Boys and their toys: Men's pleasures in technology. In: Pasero Ursula, Gottburgsen Anja (Eds.): Wie natürlich ist Geschlecht? Gender und die Konstruktion von Natur und Technik. Westdeutscher Verlag. Wiesbaden. pp. 240-255</ref> untersuchten sie einerseits „robot-building hobbyists“ und andererseits von „software professionals“. Im ersteren Fall scheint es eingängiger zu sein, dass die Freude an der Beschäftigung mit Technologie eine primäre Triebfeder ist. Aber auch in der Softwareentwicklung werden Methaphern des Spiels verwendet und augenscheinliche Freude damit assoziiert. Die Herangehensweise an die Arbeit als Spiel fällt dabei klassisch sozialisierten "Männern" tendentiell leichter (als nicht klassisch sozialisierten "Männern" oder klassisch sozialisierten "Frauen"). Technikerinnen empfinden diese Herangehensweise oft als „gender-inauthentic pursuit“ (Kleif 2002, p. 253).

Ein weiterer Aspekt ist jener der Macht. Sowohl die Roboterbauer*innen als auch die Softwareentwickler*innen ziehen Befriedigung aus einem Gefühl der Beherrschbarkeit, das womöglich auch auf ein Ohnmachtsgefühl gegenüber den Vorgängen außerhalb des bearbeitbaren technischen Spektrums zurückzuführen ist (vgl. Kleif 2002). Insbesondere klassisch sozialisierte "Männer" sind dem stärker ausgeliefert als "Frauen".

Frances Grundy weist wiederum auf bestehende Ungleichheiten sowie subtile Ausgrenzungs- mechanismen hin sowie Möglichkeiten zum „de-gendering“ von Technologie. So stellt sie fest:

Engineering influences the image of computing in a variety of ways: the image of men realigning matter and forces to do what they want it to do, and all the masculine associations of engineering [...] and indulging in their brand of humour and other practices that contribute to the exclusion and self-exclusion of women. Ein Grund dafür: there is a long history of including mathematics in traditional engineering and other curricula for reasons other than its sheer intellectual relevance. So the humbug that has to go from computing and which has come from mathematics is the way in which it is taught. (Grundy 2002, pp.235) <ref>Grundy Frances (2002) : Computer software - A clue to de-gendering technology? In: Pasero Ursula, Gottburgsen Anja (Eds.): Wie natürlich ist Geschlecht? Gender und die Konstruktion von Natur und Technik. Westdeutscher Verlag. Wiesbaden. pp. 228-239</ref>

Material:

User Interfaces und heteronormative Einschreibungen

Alle bisher betrachteten Beispiele führen letztlich mehr oder weniger wieder auf eine Dichotomisierung der Geschlechterfrage auf ein Frau/Mann-Modell zurück. Nichtsdestotrotz handelt es sich um wichtige Analysen, die Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse sowie Veränderungspotentiale bezüglich dieser sichtbar machen. Damit bleibt aber noch immer die Frage was mit all den anderen Geschlechtern nun ist. In diesem Bereich gibt es noch verhältnismäßig wenige Forschungsansätze (ich habe noch keine explizite Theorie dazu gefunden). Freilich ergeben sich in einigen Bereichen der Bio- und Neuroinformatik Schnittstellen, und dort sollte das Thema auch ausdrücklich behandelt werden (was in den meisten Curricula leider nicht der Fall ist). Aber auch auf einer abstrakteren Eben spielt das eine Rolle. So zum Beispiel beim Design von User Interfaces. In diese werden oft alle möglichen, aber auch geschlechtliche Vorstellungen eingeschrieben und so weitertradiert. Ein Ansatz, solche Mechanismen möglichst zu meiden stellt das Reflective Design dar. Dieses soll hier vorerst nur mal erwähnt sein.

Am einfachsten können wir eine Überlappung der Themen Geschlecht und Informatik im angewandten Bereich feststellen, wenn wir Anmeldeformulare (für was auch immer, aber aktuell besonders alle erdenklichen Web2.0-Anwendungen) betrachten. Um mit dieser Betrachtung das Modul zu beenden, stellen wir uns noch einer kleinen Aufgabe.

Reflexionspunkt:

  • Sind dir schon mal Formularfelder aufgefallen, mittels derer du dein Geschlecht kundtun solltest? War es für die entsprechende Anwendung wichtig, diese Angabe von dir zu bekommen? War eine Angabe zwingend notwendig, oder konnte es auch ausgelassen werden. Welche Auswahlmöglichkeiten standen dir zur Wahl? Versuche ein Beispiel zu finden, das deiner Meinung nach von so einem Feld unnötigen, oder ungewöhnlichen, oder auch sehr offenen Gebrauch macht und teile es uns über die Kommentarfunktion mit. Oder sind dir andere heteronormative Konzepte im Software-Design aufgefallen?

Abschluss

Wir haben nun jeweils kurz die Fragen der Arbeitsbedingungen, der Geschlechterverhältnisse und der geschlechtlich konnotierten Zugänge zur Informatik angerissen. Abschließend ist anzumerken, dass gerade im Bereich der Geschlechterforschung innerhalb der Informatik noch sehr viel zu tun ist. Einerseits sind die Methoden der Informatik noch nicht umfangreich genug auf geschlechterrelevante Fragen hin untersucht worden. Andererseits wird in den meisten Studien zu dem Thema erst wieder eine Geschlechterdichotomie Frau/Mann als Analysemaßstab angelegt. Über das hinaus wären weitere Ansätze zu entwickeln.

Hier lassen wir die Frage offen, wo Geschlechterforschung in der Informatik Sinn macht, und wie sie gegebenenfalls eingreifen kann. Dies wird Bestandteil der weiteren Kursdiskussionen und -ausarbeitungen sein. Du kannst wie gehabt hier bereits Kommantere verfassen, unser ILIAS-Kursforum zur Diskussion verwenden oder aber im zentralen Kurswiki bereits Seiten erstellen und/oder kommentieren bzw. dazu diskutieren.

Referenzen

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